Als Dr. med. Beat Richner Anfang der 1990er-Jahre mit seiner Arbeit in Kambodscha begann, lag die Kindersterblichkeit bei rund 12 Prozent. Die meisten Ursachen waren damals Unterernährung und Infektionen, vorwiegend Tuberkulose. «Er hat sich konsequent dafür eingesetzt, die Situation zu verbessern», erzählt Prof. Dr. med. Oliver Kretschmar vom Kinderspital Zürich. Das heisst: Nicht nur die akut betroffenen Kinder wurden behandelt, sondern die ganzen Familien. Damit sie sich nicht gegenseitig erneut ansteckten. Dieser Ansatz zeigte bald Wirkung – die Kindersterblichkeit sank kontinuierlich bis auf 4,4 Prozent im Jahr 2010. Nach genauer Analyse der Daten war dann rasch klar, dass die meisten der verbleibenden Todesfälle auf Herzerkrankungen zurückzuführen sind. «Wir haben die entsprechenden Diagnosen damals machen können, hatten aber keine Behandlungen dafür.»
Das war der Startschuss für Beat Richners «Herz-Projekt», das er mit Oliver Kretschmar ins Leben gerufen hat: Gemeinsam haben sie geschaut, welche Herz-Krankheiten am häufigsten auftraten, und wie den Kindern medizinisch geholfen werden kann. «Sein Ansatz war dabei: Möglichst wenig invasive Eingriffe für den grösstmöglichen Erfolg.» Das heisst: Verfahren anzuwenden, die für die kleinen Patientinnen und Patienten möglichst schonend sind und keine offenen Operationen erfordern. So entstand die Idee, in Siem Reap ein Herzkatheterlabor aufzubauen – nach westlichen Standards und mit der dazu nötigen Ausrüstung. Ergänzt wurde es für schwerere Fälle mit einem Operationszentrum und einer Herz-Intensivstation, unter Mithilfe des Schweizer Herzchirurgen René Prêtre und Lucca Vricella vom John Hopkins Hospital in Baltimore (USA) sowie Fachleuten von La Chaîne de l'Espoir in Paris (Frankreich).
In Siem Reap wurden 2011 die ersten Kinder mit Herzproblemen behandelt. Ausgebildet hat die einheimischen Fachkräfte unter anderem Oliver Kretschmar vor Ort – es braucht dazu Kardiologen mit geschickten Händen und einer guten 3D-Vorstellungskraft: «Es hat mich sehr beeindruckt, wie schnell alle Involvierten lernten und Fortschritte machten.» Im Katheterlabor können zum Beispiel Löcher im Herzen verschlossen, Herzklappen oder Gefässe erweitert sowie andere, leichtere angeborene Herzfehler behandelt werden. Bestehen jedoch komplexere Fehlbildungen, welche etwa einen Drittel aller Herzerkrankungen ausmachen, sind auch hier Operationen am offenen Herzen nötig.
Chamroeun Khema heisst das Mädchen, das am 2. August 2019 als allererste Patientin in Phnom Penh am Herzen operiert wurde. Nur einen Tag zuvor – am Schweizer Nationalfeiertag – wurde das Zentrum eröffnet. Davor sind alle Kinder für die Eingriffe nach Siem Reap transportiert worden; ein Weg von mehr als 300 Kilometer. Chamroeun Khema hatte ein Loch in der Herzscheidewand zwischen den beiden Vorhöfen, das die Chirurgen in einer dreistündigen Operation schlossen. Heute sagt die 15-Jährige: «Ich bin glücklich, es geht mir sehr gut.»
Dank der Kapazitätserweiterung am zweiten Standort konnte die Warteliste von damals rund 1200 Kindern laufend verkleinert werden. Oliver Kretschmar ist beeindruckt und stolz auf den einheimischen Chef-Herzchirurgen Pon Ladine und das ganze Herz-Team, das einen guten Austausch untereinander pflegt und viele Eingriffe längst selbständig erledigt: «Bei komplizierten oder speziellen Fällen diskutieren wir zusammen und versuchen die Grenze des Machbaren zu erörtern.» In Phnom Penh sind seither 1600 Operationen durchgeführt worden, in Siem Reap rund 4000. Pro Tag finden in beiden Herzzentren heute im Durchschnitt je zwei Eingriffe statt. «Nicht zu vergessen sind die Nachkontrollen, die sehr wichtig sind», sagt Oliver Kretschmar. Bis zu 50 Eltern kehren pro Tag mit ihren Kindern in die Spitäler zurück, um diese Checks zu machen.
Heute liegt die Kindersterblichkeit in Kambodscha bei etwa 2,3 Prozent. Seit es die Spitäler der Stiftung gibt, ist sie also um fast 10 Prozentpunkte gesunken. Immer wieder investieren die Betriebe in die Infrastruktur, so wurde im vergangenen Jahr das Herzkatheterlabor in Siem Reap vollständig nach dem neusten Stand der Technologie modernisiert. Im Dezember ist der nächste Besuch von Oliver Kretschmar vorgesehen, um gemeinsam mit dem Team vor Ort über eine mögliche Erweiterung der Behandlungen zu sprechen und komplizierte Interventionen durchzuführen: «Wir möchten vor allem die Prozesse für das Verschliessen von Löchern zwischen den Pumpkammern noch weiterentwickeln – den sogenannten Ventrikelseptumdefekten, die einzeln oder mit anderen Fehlbildungen die häufigsten Herzfehler darstellen.»
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